Anlässlich des Jubiläums 2014 führte eine ehrenamtliche Arbeitsgruppe im Rahmen des Projektes „Zusammen Leben“ in Zusammenarbeit mit dem städtischen Integrationsreferat Interviews mit Zuwanderern der ersten Jahre und Mitarbeitern Hohenemser Betriebe.
Ein Zeitzeuge berichtet in einem ersten Beitrag über seine Erfahrungen mit türkischen Gastarbeitern:
„Beeindruckend pünktlich, verlässlich und ehrlich – Erinnerungen zum 50
Jahre Jubiläum des Österreich-Türkischen Abkommens zur Arbeitnehmerüberlassung“
Ich treffe Herrn Wehinger in einem Zimmerchen neben dem gläsernen Empfangsbereich der ehemaligen berühmten Vorarlberger Schifabrik Kästle. Herr Wehinger kam 1967 als 26-jähriger junger Mann zu Kästle, er war gelernter Schlosser und Leiter der Nebenbetriebe. Somit war er auch zuständig für die Wartung und Verwaltung der Gebäude und Betriebswohnungen. Heute ist Herr Wehinger 75 Jahre alt und arbeitet immer noch in der Gebäudeverwaltung des so genannten „Kästlepark“. Das hat Herr Wehinger ein ganzes Leben lang gemacht: Gebäudeverwaltung. Herr Wehinger zeigt mir ein Gruppenfoto mit allen Mitarbeitern aus dem Jahre 1992, er hat sie gezählt, es sind 219 und sie kommen aus mehreren Ländern: Aus der Türkei, Serbien, Kroatien, Bosnien und auch Österreich, alles durchmischt. Die türkischen Mitarbeiter haben in den 60er-Jahren ca. 50 % der Belegschaft gestellt. Alle haben sich vertragen, erzählt Herr Wehinger, nur den Krieg im früheren Jugoslawien konnte man manchmal spüren, da war Unruhe. Das Foto beeindruckt mich. So viele Menschen – und jeder einzelne hat eine Geschichte zu erzählen, Geschichte erlebt. Ich denke an unsere Sitzungen der Arbeitsgruppe Medien, ich denke an Irfan, Angelika und alle anderen und an unsere vorsichtigen Annäherungen und Erzählungen, dieses Tasten und Suchen nach Verständigung und Verstehen und Gemeinsamkeit. Ebenso vorsichtig und tastend scheint mir Herr Wehinger. Er betrachtet mit mir das Foto, zeigt hin und wieder auf ein Gesicht und erzählt, dieser ist zurückgegangen in die Türkei und dann doch wieder nach Vorarlberg gezogen, weil die Tochter alleine hier geblieben war, und man die Tochter ja nicht alleine zurücklassen konnte. Er zeigt auf einen anderen ehemaligen Mitarbeiter – er ist heute der Leiter des islamischen Friedhofes. Herr Wehinger hat selbst einen Bericht über seine Erlebnisse mit den türkischen Mitarbeitern geschrieben, den wir hier nachlesen können: „Am Anfang war es sehr schwierig wegen der Sprache, aber mit Deuten (Zeichensprache) war es möglich, sich halbwegs zu verständigen, bzw. die Arbeitsanweisungen wurden verstanden. Durch den Umstand, dass schon einige türkische Mitarbeiter im Betrieb beschäftigt waren, war es dann kein Problem sich mit neuen Mitarbeitern zu verständigen, weil die bereits Beschäftigten als Dolmetscher fungierten. Ich hatte als Leiter der Nebenbetriebe die Werkswohnungen zu betreuen. Somit kam ich gezwungener Massen in den privaten Bereich der Mitarbeiter. Ich wurde oft eingeladen, die Familien zu besuchen, dabei wurde ich immer bewirtet: Kuchen, selbst gebackenes Brot, Apfeltee, Schwarztee, Raki, usw. Im Werksheim Einfirst wohnte eine sechsköpfige türkische Familie, diese hatte einen Gemüsegarten, sowie Hühner und Hasen. Sie schenkten mir alle 14 Tage frische Eier. Die türkischen Bewohner der Werkswohnungen bedankten sich für Reparaturen immer in der Weise, dass sie mir Geschenke – Teppiche, Vasen, Süßigkeiten, usw. – von der Türkei mitgebracht haben. Die Geschenke durften auf keinen Fall abgelehnt werden, denn das wäre für den Überbringer als Beleidigung aufgefasst worden.“ An dieser Stelle frage ich Herrn Wehinger, ob man darüber nachdachte, woher diese Mitarbeiter kommen. Herr Wehinger erzählt, dass man nur dann darüber nachdachte, wenn man genau wusste, woher sie stammten. Anatolien zum Beispiel war ein sehr armes Land und die Menschen von dort waren sehr genügsam. Herr Wehinger erzählt auch, dass manche, die keine Werkswohnung hatten, in feuchten Wohnungen leben mussten, wie „Fisch in der Mausefalle“.
Herr Wehinger schreibt in seinem Bericht weiter: „Beeindruckt hat mich die Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit. Wurde bei einem Einkauf zu viel Rückgeld gegeben, gaben sie das Geld zurück, wurde etwas wo verloren, kam es wieder zurück.“ Mehrmals betont Herr Wehinger auch im Gespräch den Fleiß der türkischen Mitarbeiter. Er schreibt aber auch, dass er sich schon ein bisschen daran stört, dass sich manche türkische Gastarbeiter nicht integriert haben und ich frage ihn, was er damit meint, was Integration für ihn bedeutet. Herr Wehinger sagt darauf, er würde sich wünschen, dass vor allem die jungen türkischen Frauen sich nicht so sehr verschleiern. Sie sollten stolz auf sich sein und sich offen zeigen. Zum Abschluss schreibt Herr Wehinger noch: „Den Arbeitern egal aus welchen Ländern, besonders aber den Gastarbeitern aus der Türkei wünsche ich alles Gute, dass sie sich in Österreich wohlfühlen.“ Das gemeinsame Fest zum 50-Jahre-Jubiläum des Abkommens zur Arbeitskräfteüberlassung zwischen der Türkei und Österreich am 28.8. auf dem Schlossplatz in Hohenems ist sicher eine schöne Gelegenheit der Begegnung, des gemeinsamen Wohlfühlens und des Gespräches zwischen den Generationen und Nationen. Und sicher auch Anlass dazu, darüber zu sprechen, was denn nun Integration ist.
(Tamara Ofner, Arbeitsgruppe „Zusammen Leben“)
Quelle: Stadt Hohenems
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